So wird QM wieder lebendig!

Viele QM-Systeme sind implementiert, mitunter zertifiziert – und manchmal zutiefst langweilig. Ein Kürzen der Dokumentation, gezielte Workshops und ein Fehlermanagement bringen frischen Wind ins System.

Vor etlichen Jahren saß ich mit dem Chefarzt und der QM-Koordinatorin einer orthopädischen Abteilung zusammen. Deren QM-System war zwar gut implementiert und es störte niemandem, lebendig war es jedoch nicht. „Wir haben Ablaufbeschreibungen in Mengen, leider braucht diese im Alltag niemand“, beschrieb mein Kunde. „Wenn ich an unser QM-System denke, fange ich unmittelbar an zu gähnen.“ Die QM-Koordinatorin ergänzte: „Inhaltlich treten wir auf der Stelle. Die letzte Verbesserungsidee, die bei mir ankam, ist drei Jahre alt. Dabei ging es um die Anschaffung einheitlicher Tassen.“ Auf meine Frage, was denn ein gutes Ziel für das QM-System sei, meinte der Chefarzt: „Ich würde ein gutes QM-System daran erkennen, dass unsere vielen jungen Kollegen ihre Ideen einbringen, wir unsere Prozesse weiterentwickeln und endlich wieder lebendige Teamsitzungen haben, in denen wir Themen besprechen, die uns nach vorne bringen.“

Kürzen der QM-Dokumentation

In der folgenden Teamsitzung legten wir den Mitarbeitern der Abteilung eine Liste der Ablaufbeschreibungen vor und baten sie einzustufen, wie hilfreich sie die jeweiligen Unterlagen auf einer Skala von 1 (gar nicht) bis 10 (sehr) beurteilen. Wie erwartet belegte das Team nur 30 Prozent der Unterlagen mit den Scores 7 bis 10. Unmittelbar nach der Auswertung informierten wir die Kollegen darüber, dass alle Ablaufbeschreibungen, die weniger als 7 Punkte erhalten hatten, mit sofortiger Wirkung in der EDV in ein Biotop gestellt werden und falls notwendig gern wiederbelebt werden könnten. Die Reaktion war erstauntes Schweigen. Die Schwesternschülerin meinte unbefangen: „Oh, prima! Wie kommt’s?“ Und nun kam die Stunde des Chefarztes, der meinte: „Mich langweilt unser QM-System zu Tode. Ich freue mich einfach darauf auszumisten.“ In diesem Moment sah man, wie in den Gesichtern des Teams ein breites Grinsen entstand.

Ein Mitarbeiter des Pflegeteams meinte: „Wir könnten uns mal was Besseres für die Wunddokumentation überlegen.“ Der Oberarzt ergänzte: „Die OP-Planung sollten wir dringend mal überarbeiten.“ Plötzlich sprachen alle durcheinander. Der Chefarzt raunte mir zu: „So eine Lautstärke hatten wir hier in den letzten drei Jahren nicht drin.“ Er sagte zu seinem Team: „O.k, ich habe das Gefühl, ihr habt ein paar Ideen, dabei dürft ihr alles denken. Am Ende muss es halt funktionieren und besser sein als jetzt.“

Stärken und Verbesserungen

In der nächsten Teamsitzung verteilten wir Moderationskarten und dicke Stifte. Der Chefarzt leitete die Besprechung ein: „Mich interessiert, was alles gut läuft. Seid so nett, schreibt auf Kärtchen, was Euch dazu einfällt.“ Innerhalb von drei Minuten hingen mehr als 30 Kärtchen an der Wand. In der folgenden Stärken-Analyse wurde jeder Mitarbeiter gebeten, etwas zu seinen Kärtchen zu sagen. Nach 45 Minuten war die Stimmung im Raum glänzend. Ein ärztlicher Kollege meinte: „Na ja, wir machen schon einiges recht gut.“ Nach einer kurzen Pause verteilten wir erneut Kärtchen. Diesmal lautete die Frage: „Und was können wir noch besser machen?“ Nach weiteren fünf Minuten hing die nächste Schranktür voller Kärtchen. Auch diesmal wurde wieder jeder Mitarbeiter gebeten, kurz zu beschreiben, was er mit seinem Hinweis meinte. Etliche Kärtchen enthielten Punkte zu ähnlichen Themen, sodass am Ende eine Liste von 15 Verbesserungsideen an der Schranktür hing.

Nun baten wir die Mitarbeiter, jene drei Projekte auszuwählen, die den Alltag am deutlichsten vereinfachen würden. In kurzer Zeit kristallisierten sich diese Projekte heraus. Dann bat der Chefarzt, die Verbesserungsideen ein zweites Mal zu priorisieren, diesmal danach, welche Ideen am einfachsten umzusetzen seien. So ergab sich in 30 Minuten eine priorisierte Ideen-Liste. Dazu gehörte ein verbesserter Ablauf rund um die Arztbriefe, eine Korrektur an den Dokumentationsvorlagen und das Einbinden eines Wundexperten-Teams für die ambulante Nachbetreuung. Die QM-Koordinatorin arbeitete in den folgenden Wochen daran, diese Projekte umzusetzen. Teamsitzungen wurden genutzt, den Stand der Projekte abzugleichen und Ideen aufzunehmen. Als die ersten drei Projekte umgesetzt waren, folgten die nächsten. Das Team hatte an Selbstbewusstsein gewonnen, stellte Vorgaben infrage, plante, und überlegte. Im Rahmen eines Treffens sah mich mein Kunde nun zufrieden an und meinte „Wie sorgen wir jetzt dafür, dass es so gut bleibt?“

Weiterentwicklung durch Fehlermanagement

Bei einem der nächsten Treffen schlug der Chefarzt vor eine Akte anzulegen, die er „Meine? Fehler“ nannte. Er bat sein Team, dort die Fehler einzutragen, die sie selbst gemacht oder von denen sie gehört hatten. „Ziel ist, aus Fehlern zu lernen. Ich freue mich auf viele Einträge.“ Der erste Fehler, der in die „Fehlerakte“ eingetragen wurde, war ein Fehler, den der Chefarzt selbst gemacht hatte und den er höchstpersönlich eintrug. Er hatte vergessen, seiner Sekretärin einen Termin mitzuteilen, was zu einer Doppelbelegung führte. In der kommenden Sitzung wurde der Fehler besprochen. Der Chefarzt bekam viele gute Ideen, wie er diesen Fehler künftig vermeiden könne. Auch in der folgenden Sitzung wurde ein von ihm selbst eingetragener Fehler besprochen. Dieses Mal lehnte er sich zurück und meinte: „Das ist ja großartig, dass außer mir hier keiner Fehler macht.“

Interessanterweise traute sich daraufhin eine Kollegin aus der Pflege, einen eigenen Fehler einzutragen. Sie hatte beim Griff in den Medikamentenschrank das richtige Medikament, jedoch mit der falschen Dosierung, erwischt. In der Folgezeit trauten sich immer mehr Mitarbeiter, eigene Fehler einzutragen. Wer einen Fehler meldete, erhielt zunächst einmal ein „Danke, dass Sie uns das gesagt haben.“ Die Fehler-Besprechungen leiteten der Chefarzt und seine QM-Koordinatorin konsequent ohne Vorwürfe und stets im Hinblick darauf, was das Team aus dem jeweiligen Fehler lernen kann.

Ein mittelgutes Team wird zum Spitzenteam

Vor Kurzem traf ich den Chefarzt wieder und fragte ihn, wie es seinem QM-System gehe. Lachend meinte er: „Na ja, ich gehe ja demnächst in Rente. Dr. Schmidt, unser damaliger Assistenzarzt, wird mein Nachfolger, was mich freut. Er sagte neulich zu mir, unser Fehlermanagement habe aus einem mittelguten Team ein Spitzenteam gemacht. Das sei der Grund, warum er in unserer Klinik bleibe.“

Erstmals veröffentlicht im Deutschen Ärzteblatt I Heft 50 I 15. Dezember 2017

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